_S.45/+ – rethinking “commuting wastelands”

Die im Spannungsfeld zwischen dem historischen Stadtzentrum und dem Naherholungsgebiet Wienerwald gelegene Vorortelinie / S45 war eine zentrale infrastrukturelle Maßnahme in Otto Wagners Generalregulierungsplan, der Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts von einer Großstadt – ca. 2 Mio. – in eine Metropole – ca. 4 Mio. – transformieren sollte. Neben dem alltäglichen Personenverkehr diente die Verkehrsader sowohl der Industrie, den Spitälern und dem Militär als auch den zahlreichen freizeitlichen Einrichtungen, wie dem Badeverkehr zu den zahlreichen an der Strecke gelegenen Wiener Bädern. Sie war somit nicht nur ein Infrastrukturprojekt, sondern schuf einen zusammenhängenden, multifunktionalen Erlebnis- und Naherholungsraum und war Ausdruck von Urbanität in den Außenbezirken Wiens.

 

Ausgehend von der HB2-VU „commuting wastelands“ aus dem Jahr 2022 soll ein erweiterter Blick auf die Vorortelinie / S45 gelenkt werden, bei dem die Bedeutung von urbanen Verkehrsknoten – vorwiegend des öffentlichen Verkehrs – hinsichtlich der sozio-kulturelle und ökologische Transformation unserer Städte diskutiert werden soll. Ziel der Entwurfsübung ist es, durch räumlich-analytische und konzeptuelle Zugänge neue Narrative für die Rolle von Verkehrsinfrastrukturen im urbanen Gefüge zu entwickeln – mit besonderem Augenmerk auf deren integrative, katalytische und identitätsstiftende Potenziale.

 

In dieser Entwurfsübung wird sowohl das transformative Potenzial der einzelnen Bahnhöfe bzw. Stationen der S45 auf die jeweiligen Quartiere bzw. Bezirke untersucht als auch die Vorstellung der S45 als ein urbanes Implantat diskutiert und entsprechende Konzepte erarbeitet. Die S45 – das größte Gebäude Wiens! Die diskursive Grundlage bildet eine symbiotische Verschränkung dreier urbanistischer Theorien: – Downtown Athletic Club in NYC von Rem Koolhaas (Delirious New York, 1978), – Bernard Tschumis urbanistische Superimposition des Parc de la Villette in Paris (1982), – sowie Roland Rainers Konzept der Dezentralisierung für die Wiener Stadtentwicklung (1961).

 

In seinem Hauptwerk General System Theory (1968) stellte Ludwig von Bertalanffy (1901 – 1972) – Biologe und Begründer der Allgemeinen Systemtheorie – die These vor, dass die Eigenschaften eines Systems nicht durch die isolierte Analyse seiner Einzelteile erklärt werden könnten. — Die Stadt ist mehr als nur ein geografischer und physischer Ort und die mit Abstand komplexeste Schöpfung des Menschen. Dem menschlichen Körper gleich, umfasst sie eine Vielfalt an Systemen, Prozessen und Praktiken, die in ständiger Wechselwirkung stehen. — Verkehrsknoten zählen zweifellos zu den komplexesten Punkten im systemischen Gefüge Stadt, da sie das Potenzial haben infrastrukturelle, technologische, soziale, ökologische, wirtschaftliche und kulturelle Faktoren in einem komplexen und hochdynamischen Raum zu verschränken und somit „Urbanität“ zu generieren. Historische betrachtet kommt den Verkehrsknoten – vorwiegend des öffentlichen Verkehrs – daher in der Entwicklung von visionären Stadtmodellen seit Ende des 19. Jahrhunderts eine tragende Rolle zu.

 

Technische Innovationen und gesellschaftliche Veränderungen verlangen nach leistungsstarken und funktionsoffenen, wandelbaren und mehrfachlesbaren Strukturen / Gebäuden. Im Gegensatz zu klar festgelegten Funktionsprogrammen sind Wandelbarkeit und schaltbare Zonen räumlicher, performativer, energetischer und atmosphärischer Natur zu bevorzugen. Besonderes Augenmerk liegt auf einer holistischen Konzeption im Spannungsfeld von Städtebau – Architektur – Tragwerk – Energy design – Green design, sowie der schlüssigen und angemessenen Wahl der Konstruktionsprinzipien und Materialien.

 

Interventionsbereiche: Bahnhof Hütteldorf, Station Breitensee, Bahnhof Ottakring, Bahnhof Hernals, Bahnhof Gersthof, Station Krottenbachstraße und eine neu zu errichtende Station an der Mündung Donaukanal